Auch wenn die Zeiten zweistelliger Zuwachsraten in China endgültig der Vergangenheit anzugehören scheinen, ist China nach wie vor einer der attraktivsten internationalen Märkte für die deutsche Wirtschaft. Mit der positiven Geschäftsentwicklung im Reich der Mitte steigt die Zahl lokaler Mitarbeiter in deutschen Niederlassungen kontinuierlich. Personalmanagement gewinnt zunehmend an Bedeutung und stellt Entscheidungsträger in den Muttergesellschaften vor vielfältige Herausforderungen.
Wie die jährlichen Geschäftsklima-Umfragen der Deutschen Handelskammer in China zeigen, ist die Suche nach qualifiziertem Personal die größte Herausforderung. 82,4 Prozent aller befragten Entscheidungsträger bewerteten diesen Punkt im vergangenen Jahr als problematisch, was einem Anstieg um 8,3 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr entspricht. Warum ist es für deutsche Unternehmen so schwierig, qualifiziertes Personal in China zu finden, und was ist bei der Auswahl von Fach- und Führungskräften zu beachten?
Auch wenn die Zahl der Hochschulabsolventen in China kontinuierlich zunimmt, genügen viele der 7,5 Millionen Absolventen, die im letzten Jahr auf den Arbeitsmarkt strömten, nicht den Anforderungen deutscher Unternehmen. Unter den stark steigenden Studentenzahlen der vergangenen Jahre hat die Qualität der Ausbildung gelitten. Viele der selbsternannten Hochschulen in China sind zudem nicht staatlich anerkannt und die dort gemachten Abschlüsse zählen bei potenziellen Arbeitgebern entsprechend wenig. Den meisten Studienabgängern fehlt vor allem praxisrelevante Erfahrung, auf die deutsche Unternehmen Wert legen. Nur wenige Absolventen verfügen zudem über die notwendigen Fremdsprachenkenntnisse, um in einem internationalen Unternehmensumfeld arbeiten zu können. Nur etwa zehn Prozent der chinesischen Hochschulabsolventen sind somit in der Lage, dem Anforderungsprofil deutscher Unternehmen gerecht zu werden.
Deutliche Unterschiede bestehen auf dem chinesischen Arbeitsmarkt bei der Betrachtung der verschiedenen Qualifikationsniveaus. Während das Angebot an gering qualifizierten Arbeitskräften noch vergleichsweise groß ist, liegt die Herausforderung in der Beschaffung von Fach- und Führungskräften, die einem sehr spezifischen Anforderungsprofil gerecht werden. Deutschen Unternehmen in China fällt es beispielsweise sehr schwer, qualifiziertes Personal für den Bereich Forschung und Entwicklung zu finden.
Daneben ist der lokale Arbeitsmarkt durch regionale Unterschiede in der Verfügbarkeit qualifizierten Personals gekennzeichnet. Deutsche Unternehmen konzentrieren sich bei der Personalsuche oftmals auf die Metropolregionen an der Ostküste. Zwar sind die Lohn- und Gehaltskosten in Städten wie Peking und Shanghai relativ hoch. Dafür verfügen diese Metropolen aber auch über einen recht umfangreichen Pool an qualifizierten Fachkräften und Managern. Allerdings ist auch der Wettbewerb um diese Mitarbeiter sehr intensiv, weshalb es durchaus sinnvoll sein kann, die Suche nach geeignetem Personal auch auf Städte wie Wuhan oder Tianjin auszuweiten. Dort gibt es eine relativ hohe Dichte an Universitätsabsolventen und gut ausgebildetem Personal, ein Potenzial, das Unternehmen nicht außer Acht lassen sollten.
Wie die Studie der Kammer weiter zeigt, sind auch die steigenden Lohn- und Gehaltskosten eine große Herausforderung. Insbesondere bei mittelständisch geprägten Unternehmen sprengen die Gehaltswünsche der Kandidaten oft das verfügbare Budget. Insbesondere um chinesische Kandidaten, die im Ausland studiert haben und über sehr gute Fremdsprachenkenntnisse verfügen, ist der Wettbewerb groß. Wenn diese Anforderungen zusätzlich mit speziellen Branchen- und Marktkenntnissen und einer entsprechenden Führungskompetenz verbunden werden, schränkt sich der verfügbare Kandidatenpool weiter ein. Deutsche Unternehmen konkurrieren somit um einen sehr limitierten Kandidatenpool.
Bei der Besetzung von Führungspositionen werden oft deutschsprachige chinesische Bewerber bevorzugt rekrutiert. Meist leben diese Führungskräfte bereits im Land, aber auch Kandidaten, die sich derzeit im Ausland aufhalten, sind begehrt. In manchen Fällen werden auch deutsche Kandidaten mit einschlägiger Arbeitserfahrung in China bevorzugt. Diese kommen zumeist auf oberster Managementebene zum Einsatz oder in Positionen, bei denen eine spezielle technische Expertise gefragt ist, die auf dem lokalen Markt nur sehr eingeschränkt zur Verfügung steht.
Gleichzeitig steigen chinesische Unternehmen in der Gunst der Arbeitsuchenden. Diese können Top-Kandidaten zunehmend durch attraktive Gehälter, Aktienoptionen und interessante berufliche Entwicklungsperspektiven locken. Westliche und lokale Firmen kämpfen bereits heute intensiv um die besten Talente.
Hinzu kommt, dass viele chinesische Studenten ihr Augenmerk vornehmlich auf Positionen in großen Unternehmen mit einem hohen Bekanntheitsgrad richten. Das macht es besonders für kleine und mittelständische Unternehmen schwierig, das passende Personal vor Ort zu finden und anzusprechen. Auch wenn deutsche Unternehmen in der Heimat eine gute Arbeitgebermarke aufgebaut haben, sind sie in China meist noch recht unbekannt und stehen zunächst nicht auf der Wunschliste der Bewerber.
Die Unternehmen stehen somit vor der Herausforderung, Bewerber von sich zu überzeugen, aber eben auch Kandidaten zu finden, die neben den fachlichen Qualifikationen in der Lage sind, sich in ein westlich geprägtes Unternehmensumfeld einfinden zu können. Für den Arbeitgeber kann es sich daher lohnen, die Suche nicht nur auf Kandidaten zu beschränken, die perfekt auf eine gesuchte Vakanz passen und bereits alle Anforderungen erfüllen, sondern bei der Bewerberauswahl bemüht zu sein, die Potenzialträger zu identifizieren. Zwar muss bei diesen Kandidaten mehr in die Einarbeitung investiert werden. Dafür ist das Unternehmen eher in der Lage, Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen und somit die Mitarbeiter langfristig zu binden.
Für einen Stellenwechsel sind heutzutage in China nicht mehr nur monetäre Anreize die Motivation. Chinesischen Managern sind bei der Wahl eines Arbeitgebers vermehrt interessante berufliche Entwicklungsperspektiven wichtig. Deutsche Unternehmen, die hier ein attraktives Angebot schaffen können, haben die Möglichkeit, die qualifiziertesten Mitarbeiter vom eigenen Unternehmen zu überzeugen. Oft erkundigen sich wechselwillige Manager vor einem Stellenwechsel auch nach der Zusammensetzung der Führungsmannschaft in der chinesischen Tochtergesellschaft eines deutschen Unternehmens. Firmen, die ihr Managementteam ausschließlich mit deutschen Expatriates und westlichen Managern besetzen, sind für chinesische Manager weniger attraktiv. Für vielversprechende Nachwuchskräfte ist die Gefahr zu groß, ab einer Position auf mittlerer Führungsebene an eine »gläserne Decke« zu stoßen. Dies ist dann oft der Zeitpunkt zu einem Unternehmen zu wechseln, das stärker auf die Kompetenz chinesischer Manager setzt und auch wichtige Führungspositionen lokal besetzt.
Mittelständische Unternehmen in Deutschland zeichnen sich dadurch aus, dass sie soziale Verantwortung für ihre Region und ihre Beschäftigten übernehmen und sich an den Grundsätzen eines verantwortlichen Unternehmertums orientieren. Auch in China sollten die Unternehmen diese Werte leben und sich durch verantwortungsvolles und nachhaltiges Handeln hervortun. Wenn es deutschen Unternehmen gelingt den chinesischen Standort nicht nur als ausgelagerten Produktionsstandort zu verstehen, sondern auch den Bedürfnissen der Mitarbeiter einen wichtigen Stellenwert einzuräumen, können sie sich langfristig einen entscheidenden Vorteil im Kampf um die besten Talente sichern. Die künftige Wettbewerbsfähigkeit auf dem chinesischen Markt wird somit entscheidend von einer weitsichtigen Ausrichtung des Personalmanagements abhängen.
Der Artikel wurde ursprünglich von Oliver Liegel (Director Executive Search) verfasst und in der Zeitschrift China Contact veröffentlicht. Eine PDF-Version des Beitrags finden Sie unter folgendem Link.
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